Globale Charta der Freien Medien

Tunis, März 2015


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Wir, Kommunikator_innen und Aktivist_innen, die wir uns vielfältigen, emanzipativen Kommunikationspraktiken an verschiedenen Orten der Erde verschrieben haben, versammelten uns im März 2015 in Tunis, auf dem vierten Weltforum der Freien Medien, welches im Rahmen des Weltsozialforums 2015 stattfand.

Wir haben die Globale Charta der Freien Medien als Ergebnis eines kollektiven Abstimmungsprozesses, der im Jahr 2013 begann, verabschiedet. Sie ist Ausdruck unseres Widerstandes, unseres Engagements für eine gerechte und emanzipative Kommunikation, die der Entwicklung unserer Welt und der Menschheit gerecht wird.

Sie können der Globale Charta der Freien Medien unterzeichnen und beitreten, indem sie uns eine email an charte@fmml.net senden (geben Sie Ihren Namen/Vorname und Ihre Organisation an).

Signature de la charte, Tunis, 28 mars 2015. Photo Midia Ninja

Globale Charta der Freien Medien

Wir sind Kommunikator_innen, Aktivist_innen, Journalist_innen, Hacker_innen, Medienkollektive, freie Medien, soziale Bewegungen und (Selbst-) Organisationen.

Wir sind Blogger_innen, Film- und Videoproduzent_innen, Entwickler_innen von nicht-kommerziellen Technologien, Vereinigungen, Netzwerke, Gewerkschaften, Journalismusschulen, Forschungszentren zu Information und Kommunikation und Nicht-Regierungsorganisationen (NRO), die den freien Zugang zu Informationen und Kommunikation unterstützen.

Wir sind Individuen und Kollektive, Professionelle, Ehrenamtliche und Enthusiast_innen, die bei der Demokratisierung der Kommunikation von der lokalen zur globalen Ebene mitwirken und die überzeugt sind, dass Demokratisierung und das Recht auf Kommunikation für all diejenigen wichtig sind, die eine gerechte und nachhaltig-wirtschaftende Welt aufbauen wollen.

Seit dem Aufkommen der globalisierungskritischen Bewegungen haben wir Hand in Hand gearbeitet, um einen Raum für die Artikulation sozialer Bewegungen zu schaffen. Das Weltsozialforum (WSF), das thematische und regionale Foren umfasst, die seit 2001 rund um den Globus organisiert wurden und werden, fungiert als Kristallisationspunkt und Kooperationsraum. Unser Aktivist_innennetzwerk hat sich in dieser Dynamik gebildet und sich zu einer Bewegung für Informationsfreiheit und das Recht auf Kommunikation entwickelt. Wir werden weiter machen und mit anderen Bewegungen zusammenarbeiten, um das globale Kommunikationssystem zu transformieren und Kommunikation zu einem politischen Thema für alle zu machen.

Wir praktizieren neue Formen der menschlichen Kommunikation, die interkulturell, horizontal, friedlich, offen, dezentralisiert, transparent und inkludierend sind. Diese neuen Formen werden über vielfältige Medien (Radio, Fernsehen, audivisuelle Medien, Internet, usw.) verbreitet. Wir experimentieren dabei mit neuen Organisationsformen und neuen Arten der Nachrichtenproduktion. Unsere Finanzierung – soweit vorhanden – hat keinen Einfluss auf Kommunikationswege oder die Redaktionsarbeit.

Wir sind uns bewusst, dass der Ausdruck „Freie Medien“ Raum für verschiedene Interpretationen lässt, die durch diverse linguistische und kulturelle Realitäten bedingt sind. Wir haben uns für den Ausdruck „Freie Medien“ entschieden, weil es eine Möglichkeit ist, gemeinsame Praktiken zu bündeln, die auf die Unabhängigkeit von kommerziellen oder staatlichen Akteuren abzielen, sich gegen alle Formen von Dominanz zu richten sowie Räume für den freien Ausdruck zu schaffen. Es ist unser Anliegen, ökonomische Modelle zu erarbeiten, die auf Solidarität und Nachhaltigkeit beruhen.

Im gemeinsamen Dialog haben wir gelernt, unsere Widersprüche und unsere Verwundbarkeit, aber auch unsere Stärken, unsere gemeinsame Wertebasis und unsere Entschlossenheit, uns für unsere Unabhängigkeit einzusetzen, besser zu verstehen. Die Versammlungen, die wir seit 2013 abgehalten haben, haben es uns ermöglicht, gemeinsame strategische Ziele zu entwickeln. Diese Charta markiert den Höhepunkt dieses Prozesses und einen Neuanfang zugleich. Alle Aktivist_innen, die sich mit Information, Kommunikation und Technologien befassen, sind aufgerufen, diese emanzipative Bewegung weiterzuentwickeln.

Mehr als je zuvor, brauchen wir eine gegen-hegemoniale Kommunikation, die auf Vielfalt und offenes Engagement setzt

Wir sind der Auffassung, dass Wissensproduktion und die Verbreitung von Informationen durch hegemoniale Medien den politisch und ökonomisch Herrschenden unterworfen sind. Kommerzielle Medien reproduzieren ein Wertesystem und ein Verständnis der Welt, das dazu beiträgt, ohnehin Marginalisierte weiter auszugrenzen und sich dem Diktat des Neoliberalismus zu beugen. Während der letzten zwanzig Jahre haben hegemoniale Kommunikationsmedien durch die (schnell zunehmende) Konzentration der Medien und die Entwicklung transnationaler Telekommunikationsnetzwerke in allen Regionen der Welt ihren Einfluss sukzessive ausgebaut. Die Mainstreammedien üben einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aus. Sie kultivieren eine Logik der Kommodifizierung und wirken im Interesse von Eliten stabilisierend oder destabilisierend auf Machtverhältnisse in verschiedenen Regionen der Welt.

Die Kommunikationsmuster hegemonialer Medien verschärfen die kulturellen und politischen Probleme der Welt. Sie homogenisieren und monopolisieren dort, wo wir Diversität wertschätzen sowie Partizipation und Kollaboration für eine gemeinsame Konstruktion von Wissen und gegenseitigem Verständnis der Welt stärken sollten. Sie basieren auf spezifischen Interessen (Infotainment und Skandalisierung) sowie kommerziellen Werten. Sie lassen dabei zentrale Hintergrundinformationen, allgemeine Interessen und soziale Werte außer Acht.

Wir wollen dem eine inkludierende, pluralistische und transformative Kommunikation entgegensetzen

Mit dem Ziel, eine wirkliche Demokratie und soziale Gerechtigkeit, herzustellen, haben Kommunikationsaktivist_innen und die Zivilgesellschaft – früher wie heute – auf Freie Medien gesetzt. Freie Medien verleihen anderen Stimmen Gehör und widersetzen sich hegemonialen Diskursen. Hierfür nutzen sie nicht-kommerzielle und nicht-staatliche Plattformen, wie z.B. lokale Radiostationen, unabhängige Fernsehkanäle, Zeitungen, Blogs, soziale Netzwerke, Musik oder Straßenkunst.

Mit dem Voranschreiten von neuen Informations- und Kommnikationstechnologien, insbesondere des Internets, sind in den letzten Jahren neuen Möglichkeiten für den Austausch und die Verbreitung von Wissen in nahezu jedem Land der Welt entstanden. Eine stetig anwachsende Zahl an Unterstützer_innen verteidigt das Engagement und die Ziele Freier Medien. Die zunehmende Vernetzung ermöglicht es, über Grenzen und verschiedene mediale Ausdrucksformen hinweg, zusammen zu arbeiten.

Wir stellen fest, dass die Zivilgesellschaft sich diese neuen Technologien aneignet, um unabhängige digitale Radio- und Fernsehsender, sowie Blogs, soziale Netzwerke, Plattformen zum Austausch von Audio- und Videodaten, digitale Zeitungen und Magazine zu schaffen. Diese ››Techno-Aktivist_innen‹‹ entwickeln freie Software und Web Interfaces und stellen eine echte Alternative zu kommerzieller Software und Dienstleistungen dar.

Wir unterstreichen die gemeinsamen Prinzipien, die unseren Aktionen zugrunde liegen und verleihen der Förderung der freien Medien in unseren Gesellschaften Nachdruck

Unter Berücksichtigung anderer internationaler Deklarationen, insbesondere des Artikels 19 der Universellen Erklärung der Menschenrechte von 1948, der sich mit der Informations- und Kommunikationsfreiheit befasst, sowie den Erklärungen von sozialen Bewegungen über das Recht auf Kommunikation, die im Rahmen der Weltsozialforums verabschiedet wurden, bekräftigen wir, dass

1. Redefreiheit, das Recht auf Information und Kommunikation sowie freier Zugang zu Wissen fundamentale Menschenrechte sind. Das Recht auf Kommunikation ist die Grundlage unserer Menschlichkeit und unserer Fähigkeit ein Gemeinwesen zu kreieren. Abgesehen von der Unterdrückung, die durch vorherrschende Gruppierungen mit der Hilfe von Medien in unseren Gesellschaften ausgeübt wird, haben Menschen immer nach Wegen gesucht, frei und unabhängig zu kommunizieren.

2. Demokratisch organisierte Informationen und Kommunikation grundlegende Voraussetzungen für die Ausübungvon Demokratie sind. Die Verwirklichung von Rederecht, Kommunikation sowie die Repräsentation in und durch Freie Medien ist nicht auf technische Fragen beschränkt. Für Bewegungen genauso wie für die gesamte Gesellschaft sind Freie Medien im Wesenskern eine politische Frage.

3. Information und Kommunikation essentielle Werkzeuge für Mobilisierungen und Kämpfe um den Respekt vor den Menschenrechten sind.

4. Informations- und Kommunikationsplattformen Gemeingüter sind. Ihre Verwendung und ihr Management sollten dem öffentlichen Interesse und dem Pluralismus Rechnung tragen und auf breit gefächerte Beteiligung abzielen. Dafür muss die Vorherrschaft der Marktideologie eliminiert und es müssen neue Kommunikationsformen jenseits des privaten und öffentlichen Sektors anerkannt werden..

Wir nehmen unsere Rolle als Freie Medien an, indem wir unseren Besonderheiten und unserer Verantwortung gerecht werden

Die Wirkung der Freien Medien basiert auf dem Streben nach Unabhängigkeit von der ausgeübten Kontrolle durch den Staat und die Wirtschaft, durch politische Ideologien und religiöse Mächte sowie durch Kommunikationskonglomerate. Wir distanzieren uns von der Profitorientierung und Marktlogik, durch die hegemonialen Medien bestimmt werden.

Wir verbünden uns solidarisch mit sozialem Wandel, ökologischer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit und den Demokratiebewegungen weltweit. Unsere Kämpfe sind ein essentieller Beitrag für den Kampf um Menschenrechte und den Kampf gegen Kolonialismus, Okkupation, Patriachat, Sexismus, Rassismus, Neoliberalismus sowie alle Formen der Unterdrückung und von Fundamentalismus. Wir sind gegen Gewalt im Internet und in den Medien ; insbesondere gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie Gewalt gegenüber sexuellen Minderheiten.

Unsere Kommunikationsmittel messen der Diversität an Ausdrucksmöglichkeiten, den Arten, die Welt zu begreifen, der Toleranz und der ausbalancierten Verteilung von Rede und Macht einen großen Wert bei.

Wir fördern soziale Partizipation, Kooperation sowie das Teilen von Informationen zwischen verschiedenen Medien und Informationsproduzent_innen.

Wir richten uns gegen alle Diskurse, in denen Hass, Intoleranz und Gewalt verbreitet werden.

Wir zeigen alternative Wege zu leben, alternative Repräsentationen der Welt und wir ermutigen zu neuen Formen der Teilhabe und des politischen Engagements. Eine Aufgabe Freier Medien ist es, im Sinne einer Bildung von unten, Menschen in einem kritischen Verständnis der Medien zu bilden.

Wir nehmen die Pflicht an, den Informationsfluss zwischen allen Ländern und auch innerhalb von Staaten auszugleichen und demokratische Räume zu schaffen, die eine Ethik des Respekts vor pirvaten Informationen transportieren und gewährleisten.

Wir wissen, wie wichtig es ist, die Kulturen, Erinnerungen, Geschichten und Identitäten der Menschen auf der Welt zu respektieren. Unsere Arbeit ermöglicht es uns, eine Vielzahl von Interessen in der Gesellschaft zu hören, die Stimmen und Aktionen der indigenen Bevölkerung, die von diskriminierten Minderheiten und von Gruppierungen, die aufgrund ihrer Religion, ihrer Identität, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Klasse, einer Behinderung, ihrer Ethnie oder Sprache unterdrückt werden.

Der Inhalt, den wir fördern, erkennt die Diversität an Vorstellungen, an Identitäten sowie des kulturellen Ausdrucks an ; entgegen dem Aufbau ästhetischer Standards und entgegen einer geschlechtsspezifischen Sozialisation. Wir werden keine Formen von Diskriminierung, Unterdrückung der Geschlechter oder den Ausschluss von Minderheiten auf der Welt dulden.

Im Rahmen einer zunehmenden Vernetzung arbeiten freie Medien daran, technologische Souveränität zu erreichen. Sie lehnen die Kommodifizierung digitaler Identitäten ab und sprechen sich für das Teilen von Wissen durch den Gebrauch freier Lizenzen und offener Software aus.

Wir fordern die Transformation des Kommunikationssystems und bekennen uns zu den folgenden strategischen Aktionen und Prioritäten

  • 1. Wir bekräftigen das Recht auf Kommunikation als Grundrecht.
  • 2. Wir verteidigen das Internet als Gemeingut.
  • 3. Wir setzen uns für einen demokratisch-regulatorischen Rahmen ein. Wir fordern die Entwicklung unabhängiger Organisationen und Behörden, die insbesondere gegen Medienkonzentration vorgehen.
  • 4. Wir verlangen und ermutigen die Entwicklung von Medien im Gemeinwesen, indem ausreichend Frequenzen für den zivilgesellschaftlichen Sektor reserviert werden.
  • 5. Wir stärken die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entgegen den Regierungs- oder Marktinteressen.
  • 6. Wir ermutigen den Gebrauch von Sprachen und Dialekten in verschiedenen Bereichen medialen Ausdrucks, insbesondere die Sprachen von Minoritäten.
  • 7. Wir fordern eine öffentliche Politik, die die Qualität und die Nachhaltigkeit Freier Medien stärkt.
  • 8. Wir lehnen die Monopolisierung der Infrastruktur des Internets ab, den Datenklau durch Unternehmen sowie die Überwachung des Cyberspace.
  • 9. Wir setzen uns für die Umsetzung einer demokratischen Internetpolitik ein, die Netzwerkneutralität, Datenschutzbestimmungen und Redefreiheit in den sozialen Netzwerken garantiert.
  • 10. Wir ermöglichen den Zugang zu freien und offenen Technologien.
  • 11. Wir ermutigen den universellen Zugang zu Kommunikation und Breitbandinternet.
  • 12. Wir kämpfen gegen die Kriminalisierung von Aktivist_innen und Organisationen, die mit Freien Medien arbeiten.
  • 13. Wir beschützen Journalist_innen und alle Kommunikationsaktivist_innen, die in Gefahr sind, Opfer von Gewalt, Verfolgung oder Ausbeutung zu werden.
  • 14. Wir mobilisieren und schaffen Verbindungen zwischen verschiedenen Medien und sozialen Bewegungen ; insbesondere im Rahmen des Weltsozialforumsprozesses.

Wir rufen zu Aktionen im Namen der Charta auf

  • Gebraucht diese Charta um Freie Medien auf der nationalen, regionalen und internationalen Ebene anwaltschaftlich zu vertreten.
  • Setzt die Charta als Unterrichts- und Lernwerkzeug ein, indem ihr Debatten- und Diskussionsforen zu Freien Medien und dem Internet organisiert.
  • Baut Partnerschaften mit anderen sozialen Sektoren und internationalen Aktivist_innen auf, um die oben ausgeführten Prinzipien zu fördern und zu verteidigen,
  • Kartiert Freie Medien, um Informationen und Erfahrungen zwischen Initiativen zu erleichtern, wobei das Recht auf freie Assoziation und auf Anonymität gewahrt bleiben soll.
  • Gebraucht die Charta um Kommunikationsinstrumente und -techniken zu entwickeln, die thematisch oder regional angepasst sind.
  • Sprecht euch für die Prinzipien der Charta der Freien Medien in jeder Weltregion und anlässlich verschiedener zwischenstaatlicher oder internationaler Treffen der Zivilgesellschaft aus.

Wir, die Freien Medien, sind uns unserer Stärke und unserer Rolle in der Gesellschaft bewusst. Wir verpflichten uns hiermit dazu beizutragen, eine andere Kommunikation und eine andere Welt zu erschaffen.

Adoption de la charte, Tunis, 28 mars 2015. Photo Midia Ninja
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